Es mag seltsam klingen: Aber bei vielen in Deutschland lebenden Frauen herrscht immer noch Unsicherheit darüber, ob man in Deutschland straffrei eine Schwangerschaft abbrechen darf. Wir haben dazu mit einer Expertin gesprochen und klären auf.
Darf man in Deutschland abtreiben? Sagen wir es so: Ja, unter bestimmten Bedingungen. Die gesetzlichen Regelungen dazu sind im Strafgesetzbuch, oder auch StGB, zu finden. Denn grundsätzlich stellt ein Schwangerschaftsabbruch erst einmal eine Straftat dar. Soviel gleich zu Beginn. Trotzdem gibt es jährlich rund 100.000 Abtreibungen in Deutschland.
Leider wissen wir in unserer Gesellschaft generell zu wenig über das Thema – es wird nach wie vor (zu) oft tabuisiert. Beratungsangebote gibt es aber einige, wenn man nur weiß, wo sie zu finden sind. In diesem Artikel möchten wir Euch aufklären und haben uns dafür die Unterstützung einer Expertin, der Gynäkologin und stellvertretenden Vorsitzenden des Berufsverbandes der Frauenärzte, Doris Scharrel geholt.
Schwangerschaftsabbruch – Der rechtliche Rahmen
Zunächst einmal zum Grundlegenden: Der Schwangerschaftsabbruch ist durch § 218 StGB geregelt. Der berüchtigte und umstrittene § 219 bestimmt, welche Beratungsleistungen für Betroffene es geben darf (oder auch: Welche Aufklärungsarbeit und Werbung Ärztinnen und Ärzte machen dürfen). Wichtig dabei ist, dass natürlich ein großer Unterschied darin liegt, ob die Schwangere selbst einen Abbruch vornehmen lassen möchte, oder ein Dritter dies gegen ihren Willen tut. Verlangt die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch, kann sie diesen unter Berücksichtigung bestimmter Voraussetzungen auch durchführen lassen. „In der Entscheidung zu einem Schwangerschaftsabbruch spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Äußert die Frau ihren Wunsch nach einem Abbruch der Schwangerschaft, berät die behandelnde Frauenärztin oder der Frauenarzt über die Möglichkeiten, Voraussetzungen und Anforderungen, für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch nach Beratungsregelung“, so die Gynäkologin Doris Scharrel.
Darf man in Deutschland abtreiben? Voraussetzungen sind:
- Die Schwangere entscheidet selbst, den Abbruch vornehmen zu lassen.
- Dieser wird von einer Ärztin oder einem Arzt vorgenommen.
- Seit der Befruchtung dürfen nicht mehr als 12 Wochen vergangen sein (dies entspricht übrigens der 14. Schwangerschaftswoche, da in der Regel vom ersten Tag der letzten Regelblutung gezählt wird).
- Außerdem muss sie sich bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle mindestens drei Tage vor dem Eingriff beraten lassen und dies durch eine Bescheinigung nachweisen können.
- Die Ärztin oder der Arzt, die oder der den Eingriff vornimmt, darf nicht das Beratungsgespräch geführt haben.
Informationen zum Ablauf und Übersichten der Beratungsstellen erhaltet Ihr im Netz. Doris Scharrel empfiehlt dafür die fundiert recherchierten Angebote der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Keine Begründung notwendig
„Während der Beratung muss die Schwangere nichts begründen oder rechtfertigen“, das betont Doris Scharrel an dieser Stelle. Die Beratung soll dazu dienen, Fragen zu beantworten. Der Gesetzgeber möchte damit sicherstellen, dass jede Frau über Möglichkeiten der Unterstützung informiert wird, egal ob sie die Schwangerschaft beenden oder austragen möchte. Die Ausstellung des Beratungsscheins darf nicht verweigert werden.
Neben dieser Beratungsregelung gibt es auch die medizinische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch – wenn die Schwangerschaft eine schwere körperliche oder seelische Gefahr für die Frau darstellt – und die kriminologische Indikation – wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung oder sexuellen Missbrauchs ist.
Methoden – Wie genau funktioniert ein Schwangerschaftsabbruch?
Es gibt den operativen und den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch. Die operative ist die am häufigsten angewendete Methode. Dabei wird unter Narkose die Fruchthöhle mit dem Embryo über ein schmales Röhrchen, das durch den Muttermund eingeführt wird, abgesaugt.
Der medikamentöse Eingriff umfasst zwei Medikamenteneinnahmen: Die erste Tablette hemmt die Wirkung des Hormons Progesteron und verhindert die Weiterentwicklung der Schwangerschaft. Zwei Tage später folgt ein zweites Medikament, dass die Abbruchblutung und das Ausstoßen der Fruchthöhle herbeiführt. Diese Methode kann nur bis zur 9. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden.
Zu teuer, zu wenige Informationen – Hindernisse beim Schwangerschaftsabbruch?
Grundlegend also ist und bleibt die selbstbestimmte Entscheidung der Frau für eine Abtreibung. Ist diese getroffen, wurde ein Arzt oder eine Ärztin ausfindig gemacht und eine Beratungsstelle gefunden, müssen noch weitere Hürden genommen werden. Zum Einen kostet ein Schwangerschaftsabbruch nach Beratungsregelung in Deutschland zwischen 350€ und 600€. Das hängt von der medizinischen Methode ab und muss selbst getragen werden. „Wenn ein bestimmtes Einkommen unterschritten wird, wird der Schwangerschaftsabbruch „in besonderen Fällen“ zulasten des Bundeslandes durchgeführt, in dem die Frau ihren Wohnsitz hat. Dazu bedarf es einer Extraberatung bei einer vor Ort ansässigen Krankenkasse, die dann die Kostenübernahme bescheinigt“, so Doris Scharrel. Derzeit liegt die Einkommensgrenze bei 1.179€ monatlich und erhöht sich bei unterhaltspflichtigen Kindern oder hohen Unterkunftskosten.
Problematisch ist auch das bestehende Werbeverbot. Was ist das? §219a regelt die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“. Über ihn wird derzeit öffentlich viel diskutiert, da die Bundesregierung eine Novellierung des Gesetzes vorgenommen hat. Bislang war es Ärzt*innen verboten darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Dadurch soll vermieden werden, dass Abtreibungen aufgrund einer Gewinnerzielungsabsicht der Ärzt*innen erfolgen. So weit, so absurd. Zum einen werden Ärztinnen und Ärzte auf diese Weise kriminalisiert, obwohl sie lediglich eine medizinische Leistung anbieten. Auf der anderen Seite wird das Recht auf freien Zugang zu Informationen eingeschränkt, was so gar nicht unserem Rechtsstaatsprinzip entspricht. Um das Problem zu lösen, haben einige Bundesländer Listen mit Ärzt*innen veröffentlicht, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, so auch Berlin. Ein Vorgehen auf Umwegen, da Ärzt*innen nicht selbst darüber informieren durften. Zu Recht stand §219a daher in der Kritik und viele Seiten forderten die Streichung des Paragrafen. Die Bundesregierung hat, zumindest teilweise, darauf reagiert. „Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch, dass am 22. März 2019 in Kraft getreten ist, haben Ärzt*innen einerseits die Möglichkeit, darüber zu informieren, dass sie und nach welcher Methode sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Die Bundesärztekammer wird eine Liste von Schwangerschaft abbrechenden Ärzt*innen führen. Die personenbezogenen Daten dazu werden freiwillig erhoben, über die Methode des Schwangerschaftsabbruches wird es keine Informationen geben.“
Fazit – Darf man in Deutschland abtreiben?
Eine Abtreibung nach Beratungsleistung ist in Deutschland rechtlich zulässig. Allerdings müssen viele Bedingungen erfüllt werden und es ist nicht mit einem einzigen Termin beim Arzt oder der Ärztin getan. „Es handelt sich um einen Beratungskomplex, der von verschiedenen Personen durchgeführt wird. Die Schwangere hat zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, von dem Wunsch nach Schwangerschaftsabbruch zurückzutreten“, sagt die Expertin Doris Scharrel. Die gesetzliche Lage ist kompliziert, aber mit den richtigen Beratungsstellen zu meistern. Es bleibt zu wünschen, dass das Vertrauen in die Selbstbestimmung der Frau sowie der freie Zugang zu Informationen und medizinischer Hilfe ohne Diskriminierung weiter gestärkt werden.
Wir bedanken uns bei Doris Scharrel für die fachliche Unterstützung!
Weitere Informationen findet ihr z.B. auf den Seiten Familienplanung.de und Frauenärzte im Netz.