Zu Beginn des Jahres 2019 sorgte ein Werbespot von Gillette für einen gewaltigen Shitstorm. Der Spot sollte Männer zu einem friedlichen Miteinander, gesundem emotionalem Verhalten und Solidarität animieren: “We Believe: The Best Men Can Be” war der Slogan. 1,5 Millionen Dislikes haben bewiesen, dass unsere Gesellschaft durchzogen ist von toxischer Männlichkeit.
Männlichkeit, Weiblichkeit, Menschlichkeit
Ich fragte mich warum ich mich noch nie intensiver mit dem Begriff der toxischen Männlichkeit auseinandergesetzt habe, denn ich begegne ihr ständig und überall: Zum Beispiel bei meinem langjährigen Freund, der seine Homosexualität auch mit 37 Jahren noch vor seiner Familie verschweigt. Oder bei einem Gespräch mit einem anderen guten Freund: Er ist der Meinung, dass Männer eigentlich nicht vergewaltigt werden können. Sie würden schließlich immer Sex haben wollen und auch können. War ich so sehr mit dem Kampf um die Gleichberechtigung meines eigenen Geschlechts beschäftigt, dass ich dieses stereotype Bild von Männlichkeit als weiteren Motor des schädlichen patriarchalen Systems unterschätzt habe?
Augen auf und durch: Die Betrachtung des Männerbildes heute
Es wird höchste Zeit sich den Begriff der toxischen Männlichkeit oder toxic masculinity genauer anzusehen. Er umfasst ein gesellschaftliches Bild von Männlichkeit, nachdem Männer keine Emotionen oder Schwäche zeigen dürfen, Ängste und Sorgen gelten ebenfalls als Tabuthemen. Vermeintlich starke Eigenschaften wie Rivalität und Dominanz hingegen, sind als gewünschtes männliches Verhalten anerkannt. Diese konservativen Vorstellungen von Männern gehen meist einher mit einem herabwürdigenden Verhalten gegenüber Frauen.
Toxische Männlichkeit: Altes Verhalten im neuen Gewand
Der Begriff „toxische Männlichkeit“ erscheint vielleicht neu, allerdings ist es keineswegs ein neues Phänomen. Die sozialwissenschaftliche Betrachtung gewann jüngst, durch feministische Strömungen und gesellschaftliche Debatten wie #metoo, an Ernsthaftigkeit, aber Machismo gibt es seit je her. Der Macho, der zu jeder Gelegenheit seine Männlichkeit unter Beweis stellen muss, spielt nicht nur die Hauptrolle in jedem zweiten Blockbuster. Er fühlt sich ebenso wohl in den Chefetagen großer Konzerne, sitzt am Kopf des Tisches bei vielen Familienfeiern und besetzt die politischen Spitzpositionen dieser Welt – gestern wie heute und vermutlich leider auch morgen.
Toxic masculinity schadet uns allen
Es braucht wohl kein abgeschlossenes Psychologiestudium, um zu erkennen, dass unterdrückte Emotionen und illusorische, überzogene Anforderungen schädlich sind für eine gesunde Persönlichkeit. Das Verkennen der eigenen Grenzen und der Grenzen anderer, eine krankhafte Einstellung zum eigenen Körper, Sucht und Depression bis hin zu suizidalem Verhalten können Folgen der toxic masculinity sein. Sie wirkt subtil und dennoch tiefgreifend. Das Ausmaß dessen bleibt nicht auf die Schädigung des Individuums beschränkt, sondern weitet sich als eine gesamtgesellschaftliche Belastung aus. Unterdrückte Bedürfnisse und Ängste können der Auslöser Aggressivität und Gewalt sein.
Zeit zu handeln: Ein neues Männerbild braucht das Land
Nachdem wir uns nun bewusst sind, dass die toxische Männlichkeit schlechte Auswirkungen auf alle Geschlechter und alle Mitglieder der Gesellschaft hat, ist an der Zeit nach Lösungen zu suchen. Wir sollten uns eingestehen, dass dieses unrealistische Männerbild ein strukturelles Problem ist. Das bedeutet auch, dass die Verantwortung bei jeder Person gleichermaßen liegt. Wir sollten einander dazu ermutigen geschlechterunabhängig offen über Emotionen und Ängste zu reden. Lasst uns Vorbilder sein für die Generationen nach uns! Erzieht eure Kinder zu toleranten, couragierten Menschen mit echten Emotionen! Lebt euren Kindern vor wie Gleichberechtigung funktioniert und wie gut eine diverse Gesellschaft ist!
Falls ich nun ein sehr düsteres Männerbild gezeichnet haben sollte, möchte ich sie nicht unerwähnt lassen, denn es gibt sie – die Feministen, die sensiblen Väter, die einfühlsamen Typen, die modernen Männer. Ein gutes Beispiel dafür ist Moritz Neumeier, der in diesem Clip humorvoll erklärt, was toxic masculinity ist: