Der konditionierte Schrei: Warum wir nicht laut vor Lust stöhnen

Vor lust laut stoehenen

Oooooh, der Lustschrei – von Hollywood inszeniert, vom Porno kommerzialisiert und von uns Frauen im Bett lautstark adaptiert. Ist doch geil, wird der ein oder andere Mensch sagen, nein, viel mehr ist das Stöhnen einfach gelernt.

Es war die Sonntagsstimmung-Bett-Berieselung, die mich kürzlich übers Stöhnen nachdenken ließ: Bei Netflix gibt’s den Film „Wie Männer über Frauen reden“, eine deutsche Komödie von 2016. In einer Szene vertraut sich Martini, gespielt von Frederick Lau, seinen Freunden an: Seine neue Freundin sei zu laut beim Sex. Unangenehm sei ihm das Geschrei, gekünstelt und falsch käme ihm das gar vor. Er fragt also um Rat, wie er ihr klar machen könne, dass er nicht darauf steht. Martini sucht nach einer ehrlichen Beziehung – und genau das ist der Punkt, beziehungsweise die Frage, die ich mir dann auch gestellt habe. Vor Lust laut stöhnen: Wie ehrlich ist es, dem Höhepunkt entgegen zu schreien?

Ich stöhne, also bin ich (wild)

Durch die Sequenz wurde mir klar, wie auch ich einmal konditioniert war. Auch ich dachte einmal, Geräusche gehöre zu „gutem“ Sex, wie Ketchup zu Pommes. Und ich war mir sicher, dass dies den oder die Partnerin eben anmacht. Gerade als junge Erwachsene erscheint einem der Aspekt des Gefallenwollens ja durchaus wichtig. Und so geht’s der Frau im Film wahrscheinlich auch –  paradoxerweise schreit sie für ihn, turnt ihn damit aber ab.

Auf einmal wurde mir klar, dass Lautstärke kein Self-Love-Statement ist, sondern gesellschaftliche Prägung.

Auf die Dreißig zu vögelnd wird die Bestätigung in einer anderen Person dann nicht mehr so relevant. Da glaubte ich dann, dass Stöhnen ein Ausdruck einer selbstbestimmten Frau ist, die eben Spaß im Bett hat und das auch hören lässt. Und jetzt? Auf einmal wurde mir klar, dass Lautstärke kein Self-Love-Statement ist, sondern gesellschaftliche Prägung.

Man muss noch nicht einmal das Porno-Fass aufmachen, auch Hollywood hat uns sexualisiert und auf Schreien gepolt: Der berühmteste (vorgetäuschte) Orgasmus in der Filmgesichte ergab sich in „Harry & Sally“. Da lässt Sally in einem Restaurant hören, wie sie den Höhepunkt erklingen lässt und kein Mann das Schauspiel entlarven kann. Auch „Sex and The City“bewirbt lautes Kundtun der Lust. Ach, eigentlich passiert das in allen Sexszenen, in denen es „so richtig“zur Sache geht. Es scheint, als wäre Lautstärke ein Indikator für Bums-Besonderheit.

Vor Lust laut stöhnen: Der Ego-Boost für den Mann

Nicht falsch verstehen, wer sich beim Sex so frei und erregt fühlt, dass er es herausschreien möchte, soll das unbedingt tun. Es gibt keine Regeln und um Gottes Willen kein Sex-Diktat, das wäre ja wieder eine Prägung von außen. Aber es schadet nicht, sich selbst hin und wieder zu hinterfragen: Was ist aus purer Lust motiviert und was ist gelernt?

Interessant ist an dieser Stelle eine Studie von Gayle Brewer von der University of Central Lancashire und Colin Hendrie von der Uni Leeds: Für ihre Forschung haben sie 71 Frauen im Alter zwischen 18 und 48 Jahren gefragt, welche Geräusche sie beim Sex machen und warum. Tatsächlich fanden sie heraus, dass die Mehrzahl an Frauen den eigenen Orgasmus lieber im Stillen erleben und trotzdem den Akt lautstark begleiten. „Während des Vorspiels kommen viele Frauen selbst zum Höhepunkt. Jedoch gaben viele an, parallel zum Höhepunkt des Mannes, also seiner Ejakulation, laut zu stöhnen“, sagt Gayle Brewer. 92 % der Frauen gaben an, damit das Kommen des Mannes zu beschleunigen. „Sie nutzen solche Laute, um die Ejakulation ihres Partners aufgrund von eigener Langeweile und Müdigkeit oder momentanem Unbehagen zu beschleunigen“, so die Wissenschaftlerin. Noch eindeutiger, dass es beim Pegel nicht um uns Frauen geht, ist folgende Erkenntnis: 87 Prozent der Frauen gaben zu, mit lautem Stöhnen dem Partner ein gutes Gefühl geben zu wollen und sein Selbstbewusstsein aufzubauen. Wow.

Das zeigt doch, dass wir das Thema Female Empowerment auch im Bett angehen müssen. Wir stecken noch immer, sowohl Frauen wie Männer, in sexuellen Rollenbildern fest. Sex hat wie die Menschen auch so viele Facetten: Nicht alle Männer turnt es an, wenn die Partnerin das Haus akustisch teilhaben lässt und nicht jede Frau stöhnt vor Lust – wie wärs also erst mal mit reden statt schreien?

Mehr anzeigen

Bewertungen
Wie hat Dir der Artikel gefallen?4.8
Bewerte diesen Artikel